Sting live in Berlin: Beau mit abgeranztem Bass...
Sting müht sich ab, die verschiedenen Phasen seiner Karriere miteinander in Einklang zu bringen. Über einen durchwachsenen Konzertabend in der Berliner Waldbühne
Es gibt vielleicht nichts Cooleres, nichts Souveräneres, als angestammte Live-Dramaturgien über den Haufen zu werfen – und sofort mit dem größten Hit ein Konzert zu beginnen. Große Bands machen das (die Rolling Stones mit "Satisfaction"), kleinere Bands machen das (Pavement mit "Cut Your Hair"). Das soll auch zeigen: Unser Repertoire ist derart groß, dass wir die Knaller schon am Anfang verfeuern können.
Bei seiner aktuellen Tournee eröffnet Sting den Abend, wie in der Berliner Waldbühne, mit dem Police-Hit "Every Breath You Take". Das Lied von 1983 ist derart populär, dass der Sänger damit angeblich immer noch täglich 2.000 Dollar einfährt.
Das intime "Every Breath" liest sich auf dem Papier vielleicht ungeeignet für die Opener-Position. Aber die vierköpfige Band des 64-Jährigen weiß das schon durchzurocken. Vor allem Drummer Vinnie Colauita – und das erweist sich als Problem. Es wirkt vielleicht müßig, immer den Musiker des Originals, Police-Drummer Stewart Copeland, zum Vergleich heranzuziehen. Aber von der Qualität eines "Every Breath You Take", dem Lauernden, geradezu Metronom-artigen, bleibt wenig übrig, wenn ein Schlagzeuger stattdessen immer schön auf die Becken drischt.
Colauitas Drumkit ist einfach zu groß, das verführt doch dazu, alles auszunutzen. Copelands Magie bestand darin, dass er eher wie ein Mann mit einer einzigen, umgeschnallten Trommel wirkte, der aber wie aus dem Nichts tausend Töne erzeugen konnte.
Aber als Rockbombe funktioniert "Every Breath" anscheinend, das Publikum hat Sting mit seiner Hit-Offensive augenblicklich im Griff. Es sind dennoch die Solo-Stücke, die seine Musiker überzeugender interpretieren. Die lange nicht mehr live gehörte, Palast-artige Arabeske von "Mad About You", auf dem "Soul Cages"-Album von 1991 komplex arrangiert, wird hier von Dominic Millers Gitarre nahezu alleine emporgehoben. "If I Ever Lose My Faith in You" hat auch bald 25 Jahre auf dem Buckel, aber von Tournee zu Tournee noch immer denselben Schwung. Sting schließt jedesmal, Theater hin oder her, bei der Stelle "Every Time I Close My Eyes, I See your Face" seine Augen.
Im Rahmen seiner voran gegangenen, "Back To Bass" betitelten Tournee spielte er in kleinen Hallen. Sein triumphaler Auftritt in der Berliner Columbiahalle bot ganz den alten Proberaum-Sting mit Schweiss, Muskel-Shirt und definierten Oberarmen, umgeschnallt den abgeranzten Bass, dessen Schrammen vielleicht noch auf Streitereien mit den Police-Kollegen zurückzuführen sind. Diese Amateur-Power hat Sting für seine jüngste Konzertreise zum Glück beibehalten, er wirkt wieder wie ein Musiker, der vor Publikum arbeitet. Früher hatte man gelegentlich den Eindruck, Sting würde über die Köpfe seiner Zuschauer hinwegsingen und in Gedanken woanders sein.
Seinen Bass spielt Sting heute so bedächtig wie McCartney. Bei beiden wirkt es so, als wäre das Zupfen einer Saite wie das Umschlagen einer Buchseite, die in Ruhe gelesen werden will, erst dann geht’s zum nächsten Ton. Es funktioniert. Das Medley aus "Roxanne" und Bill Withers’ "Ain’t No Sunshine" ebenso, die Fusion aus Rock und Jazz hätte Stings Livealbum "Bring On The Night" gut gestanden. Die lange Live-Fassung wird zum Showcase seiner Band, jeder Musiker erhält seinen Solo-Moment, und es gibt – was bei Pop-Konzerten immer ein wenig albern wirkt – Szenen-Applaus. Ebenso für Stings schwer zu verkaufendes Cover von Peter Gabriels "Shock The Monkey". Mit dem Ex-Genesis-Sänger war er bis zur vergangenen Woche noch auf Tournee. Die Entscheidung aber, einfach dieses Lied – und eins von Genesis – in sein jetziges Solo-Repertoire rüberzunehmen, wirkt etwas gemütlich.
Gegen Ende zwei Überraschungen. Zum einen "Englishman in New York", das auf dem 1987er-Album "…Nothing Like The Sun" eher verstörend, traurig, passiv-aggressiv erscheint, aber in der Waldbühne zum Reggae-Singalong wird. Die einst aus purem Zynismus in die Studiofassung integrierte HipHop-Passage nutzt das Publikum zur Stampf-Vorlage. Und dann, im Zugabenblock, "Desert Rose" von 1999. Stings Teufelsfiddler, der gelegentlich von hinten die Bühne entert, macht aus dem orientalisch angehauchten Lied eine Russendisko. Sting lässt dazu von seinem Bass ab und spielt Handtheater vor dem Mikro. Man wünscht sich nur, das würde irgendwohin Schatten werfen. Und denkt außerdem, dass eine gute Entscheidung war, dass Sting vor allem auf sein Material bis, sagen wir, 1993 gesetzt hat. Es bleibt der Eindruck, dass Sting die verschiedenen Phasen seiner Karriere nicht harmonisch miteinander vereinen kann.
Aber da war doch noch irgendwas anderes, oder? Natürlich, im November veröffentlicht Sting mit "57th & 9th" wieder ein neues Studioalbum mit Rocksongs, das erste seit "Sacred Love" von 2003. Neues Material daraus vorgestellt hat er leider nicht. Warum nicht?
(c) Rolling Stone by Sassan Niasseri
Sting lässt Fans in der Waldbühne in Erinnerungen schwelgen...
Am Montagabend spielte Sting vor 20,000 Menschen in der Berliner Waldbühne und gab dabei natürlich auch Klassiker zum Besten.
Der Bart ist ab. Frisch rasiert und mit jugendlicher Leichtigkeit eröffnet der britische Rockmusiker Sting am Montagabend um 20.30 Uhr sein Konzert in der mit 22,000 Besuchern ausverkauften Waldbühne. Nachdem sein Sohn, der Sänger und Songschreiber Joe Sumner, das Vorprogramm bestritten hat, beginnt Sting den Abend mit dem Grammy-gekürten Police-Klassiker "Every Breath You Take". Und es wird noch jede Menge Police-Hits geben.
Sting widmet sich wieder dem, was er am besten kann. Rocksongs mit Druck und Leidenschaft. Seine vielen Experimente der vergangenen Dekade von mittelalterlicher Lautenmusik, schwurbeligen Winterliedern oder dem wenig erfolgreichen Musical "The Last Ship" sind Vergangenheit. Sting hat wieder seinen angejahrten, zerstoßenen E-Bass umgehängt und bietet in der Waldbühne ein Best-Of-Programm, das die Fans jubeln lässt.
Nach "If I Ever Lose My Faith In You" und "Mad About You" von seinen Soloplatten von Anfang der 90er-Jahre gibt es mit "Driven To Tears" gleich wieder einen Police-Kracher. Und natürlich folgen später noch "Message In A Bottle", "So Lonely" und ganz am Ende "Roxanne". Ende November soll mit "57th & 9th" tatsächlich wieder ein neues Sting-Album erscheinen. Und es soll wieder richtig rockig sein, hört man.
Im Konzert wärmt Sting schon einmal vor. Mit allem, was man von ihm schätzt, so auch "Englishman in New York", seinem 87er-Hit. Er gibt sich locker, charmant, versucht sich auch an deutschen Ansagen. Und überrascht mit Coverversionen wie Peter Gabriels "Shock The Monkey".
Gestützt wird er von einer erstklassigen Band mit Cracks wie Gitarrist Dominic Miller, Keyboarder David Sancious, Schlagzeuger Vinnie Colaiuta, Geiger Peter Tickell, Percussionist Rhani Krija und der Background-Sängerin Jo Lawry. Die Waldbühne schwenkt Smartphones und schwelgt in Erinnerungen.
(c) Berliner Morgenpost by Peter E. Müller
Sting: Auch mit 64 Jahren reißt er noch alle mit...
Am Montagabend hüllte The Police-Star Sting die ausverkaufte Waldbühne in Berlin in Staunen. Mit zwei Stunden Hits brachte er über 20.000 Menschen zum Tanzen.
40 Jahre lang hält Sting (64) schon die Leute in Atem. Sein jazziger Reggae und Rock hat Musikgeschichte geschrieben. Erstmal darf aber sein ältester Sohn auf der gewaltigen Bühnenkonstruktion stehen: "Ich heiße Joe Sumner, ich komme aus England. Entschuldigung, ich spreche kein German", öffnet der grauhaarige Mann grundsympathisch sein Akustikset in Deutsch. Zeilen wie "I wanna make it better" und "I do my best" singt er da im Schatten seines übergroßen Vaters und erntet großen Applaus dafür. "Sie sind sehr nett", bedankt sich Joe artig. Die ersten klatschen ab jetzt mit. Leider übertönen die Gespräche schnell den zu leise eingestellten Sänger. Süß wird’s, als Sumner für seine kleine Tochter das extra geschriebene Lied "Jellybean" spielt und die kleine Rothaarige dazu auf die Bühne dackelt.
Als dann ihr Opa Sting auf die Bühne marschiert und sich halbschräg vors Mikro stellt, gibt es kein Halten mehr. Sein übergroßer Hit "Every Breath You Take" aus The Police-Zeiten schallt aus tausenden Mündern. Von Anfang an hat der selbstbewusste Mann sein Publikum im Griff. "Guten Abend, meine Damen Herren. Ich bin froh, hier bei euch zu sein", begrüßt er wie sein Sohn auf Deutsch und bleibt bei den Ansagen auch dabei. Verdammt sexy, wie der verwegene Kerl da bei "Mad About You" halbschräg am Mikro steht und mit den Augenbrauen spielt. Kaum zu glauben, dass der durchtrainierte Mann 64 Jahre alt ist. Im Publikum zeigen sich heiße Bauchtänzerin, manche Pärchen kuscheln.
Mit seiner alten New Wave-/Reggae-Band The Police wurde Sting vor knapp 40 Jahren berühmt. Von ihnen folgt "Invisible Sun", wozu über die Leinwände Bilder von Kindern aller Kulturen flimmern. Im Text zum Song lehnt sich Sting gegen gewaltsame Regierungen auf. Dass dann das Genesis-Cover von "Dancing With The Moonlight Knight" kommt, kann kein Zufall sein. "Selling England by the pound" singt Sting, wechselt dann abrupt zum Police-Kracher "Message In A Bottle". Die Tribünen springen auf, klatschen lauter mit als die Band. Aus zehntausenden Kehlen ertönt es "sending out an S.O.S.". England und ein Notsignal? Ob der Brite hier eine Anspielung auf den Brexit macht, kommentiert er nicht.
Nahtlos geht sein Hitgewitter weiter. "Fields Of Gold" lädt die Schwärmer zum Schunkeln, Schmusen und Schmatzen ein, The Police werden in "So Lonely" ausufernd gefeiert. Überall springen die Berliner und weit Angereisten völlig selbstvergessen. Und Sting baut weiter Dramatik auf: Seine Gefühlsbombe "Shape Of My Heart" lässt schmachten, das Reggae-getränkte "Englishman In New York" bringt die Hüften in Schwung. Eine ausverkaufte Waldbühne ist hin und hergerissen.
Und dann, als es endlich dunkel ist, schmiegt sich Bill Withers‘ "Ain’t No Sunshine" so wunderschön ins Finale "Roxanne". Für ein gebrülltes "ah!" à la James Brown erntet der Bassist riesigen Jubel. Es ist so laut, Sting kann nur den Kopf schütteln und sich mit Handkuss verabschieden. Kurze Verschnaufpause, bevor Stings fantastische Band da wieder aufs Parkett schlurft. Ihr tighter Sound und dieses unfassbar harmonische Zusammenspiel ist nicht zu toppen. Das beweisen sie im eindringlichen "Desert Rose", das einem vor musikalischer Vielfalt und orientalischem Charme glatt die Schuhe auszieht. Zur zweiten Zugabe "Next To You" von The Police kommt Stings Sohn Joe mit E-Gitarre und Töchterchen auf die Bühne und rockt, was das Zeug hält.
Für die letzte Zugabe "Fragile" wechselt der Multiinstrumentalist zum ersten Mal sein Handgerät. Gefühlsgewaltig spielt er spanische Akustikgitarren-Klänge und entlässt die Träumer selig grinsend in die Nacht. Wie sich Sting aber nach großer Gruppenverbeugung nochmal demütig unter tosendem Applaus verneigt, das zeigt von beispielloser Bescheidenheit.
(c) BZ Berlin by Vincent Grundke
Sting begeistert Tausende Fans in der Waldbühne...
Der Bart vom letzten Winter ist ab, aber ansonsten hat sich bei Sting nicht viel verändert – eigentlich gar nichts. Für sein Konzert am Montagabend in der ausverkauften Berliner Waldbühne hatte der 64-jährige Bassist und Sänger ein fast zweistündiges Programm ganz nach den Wünschen des Publikums zusammengestellt.
Die rund 22,000 Zuschauer hörten zu Beginn einen seiner größten Hits: „Every Breath You Take“, noch aus den Zeiten seiner Band The Police.
Der Musiker spielte sich durch 40 Jahre Karriere, angefangen bei den Police-Klassikern "So Lonely" und "Roxanne" bis zu seinen Solo-Hits wie "Englishman in New York". Zwischendurch gab Sting das Stück "Shock The Monkey" von Peter Gabriel zum Besten, mit dem er in den USA auf Tour war. Den krönenden Abschluss des Konzerts bildete das Lied "Fragile".
Als Unterstützung brachte Sting seinen 39-jährigen Sohn Joe Sumner mit, der das Publikum zuvor anheizte. Auch Stings Enkeltochter hatte einen kurzen Auftritt in Berlin und stand bei der Zugabe mit auf der Bühne.
(c) Berliner Zeitung by Frank Junghänel
Sting will es wild und laut...
Vor kurzem bezweifelte Sting in einem Interview, dass er je wieder einen großen Hit haben wird. "Meine Mine ist ausgebeutet", meinte der Popstar. Na und? Er hat doch bereits genug gute Songs - wie man am Montagabend in der Berliner Waldbühne hören konnte.
Brechend voll ist es, die Waldbühne dampft in den kühlen Abend hinein. Joe Sumner, der Sohn von Sting, auch schon 39, singt nette kleine Songs zur Einstimmung. Er klingt dabei ganz wie der Vater und wird höflich beklatscht, während sich die Massen noch an den Wurstbuden drängeln. Ein kurzer Blick ins Rund: Ja, Sting ist wirklich einer von diesen Popstars, die fast alle Generationen begeistern. 22,000 Menschen sind da, obwohl oder gerade weil nichts Neues von ihm zu erwarten ist. Seit seinem letzten echten Album "Sacred Love" sind stolze 13 Jahre vergangen, sein neues soll erst im November fertig sein.
Pünktlich um halb neun steht Sting auf der Bühne, der Hipster-Bart ist Gott sei Dank ab, auch die Michael-Stipe-Gedächtnis-Glatze ist wieder zugewachsen. Jetzt sieht Sting so aus wie in der Verfilmung vom Wüstenplaneten und legt genauso wild los: "Every Breath You Take", "If I Ever Lose My Faith In You”. Getreu dem guten alten Motto: Fang mit dem größten Hit an und steigere dich danach.
Zeit, die Lederjacke loszuwerden und seinen gestählten Körper im hautengen T-Shirt bestaunen zu lassen. Sting ist 64, aber immer noch ein Poser vor dem Herrn. Auch wenn er seinen herrlich ramponierten Bass hin- und herwirft und sich mit seinen alten Kumpels David Sancious am Keyboard und Gitarrist Dominic Miller duelliert. Vinnie Colaiuta am Schlagzeug sieht inzwischen so ledrig aus wie Maschine von den Puhdys, spielt aber immer noch wie ein junger Gott. So blasen einen Police-Klassiker wie "So Lonely" oder das unglaublich kraftvolle "When The World Is Running Down" fast vom Sitz.
Wenn Sting dann noch mit seiner unverwüstlichen, dauerjugendlichen Stimme "Dancing With The Moonlit Knight" von Genesis anstimmt, nur um gleich mit "Message In A Bottle" weiterzumachen, tobt die Waldbühne - und ich merke, dass ich einfach im falschen Jahrzehnt groß geworden bin. So gut!
Auch Sting will offenbar mit Macht zurück in die 70er, die 80er - weg vom sanften, nachdenklichen Regenwaldretter und Gesundheitsapostel, weg von John Dowlands Lautenmusik, Winter-Balladen und der in seinem Alter wohl obligatorischen Symphonic Tour. Die sanften, langsamen Songs wirken arg routiniert, Sting will‘s lieber wild und laut.
Eindreiviertel Stunden lang reiht er Mega-Hit an Mega-Hit und entlässt selig grinsende Menschen mit "Fragile" in die Nacht. Da klingt in mir noch "Every Little Thing She Does Is Magic" nach. Ich bin wohl auch mehr der Police-Typ.
(c) Rundfunk Berlin-Brandenburg by Jens Lehmann
Sting in der Waldbühne - Vater und Sohn geben eine musikalische Lektion in eigener Sache...
Wer am Montagabend gegen acht zum Konzert in der Waldbühne eintrifft, kann dort einen Sänger erleben, der so klingt wie Sting, sich bewegt wie Sting und mit seinen beiden Instrumentalisten in etwa auch so leichthändig musiziert wie Sting. Es ist aber nicht Sting, sondern sein ältester Sohn Joe Sumner. Der wird in diesem Jahr vierzig, hatte mal eine eigene Band und bestreitet hier das Vorprogramm für seinen Vater. Ich weiß nicht, was Familienpsychologen dazu sagen, aber der Junge hat Nerven - sich an dem Mann zu messen. Vielleicht wäre er besser was Vernünftiges geworden. Als Gordon Matthew Sumner alias Sting so alt war wie sein Sohn heute, gehörte ihm die ganze Welt. Oder zumindest hörte ihn die ganze Welt. Damals war Sting Pop.
Heute ist Sting Pop-Geschichte. Ab und zu kommt er nach Berlin, um eine Lektion in eigener Sache zu geben. Zuletzt variierten die Themen zwischen nordenglischer Lautenmusik, orchestralen Arrangements und seiner Rückkehr zum Bass als solchem. Diesmal sollte seit langer Zeit mal wieder der ganz normale Sting auf dem Programm beziehungsweise der Bühne stehen. Das Freiluftkonzert bietet dem vollzählig erschienen Publikum eine Retrospektive seines fast vierzigjährigen Schaffens. Angefangen mit "Every Breath You Take" von The Police. Dass Sting den größten Hit seiner Band als Eröffnung spielt, zeugt von Selbstsicherheit.
Er wäre allerdings nicht der Streber, für den ihn mancher hält, wenn er die Nummer einfach so abspulen würde, wie man sie kennt. Statt also mit dem pulsierenden Bass einzusetzen, der das Stück zwingend markiert, lässt er seinen Gitarristen Dominic Miller ein Intro vorhalten, das den Druck schon mindert, ehe er sich überhaupt richtig aufbauen kann. Da fehlt schon mal der Wumms - und dann kommt auch noch die Geige. Der Violonist Peter Tickell scheint die neueste von Stings musikalischen Marotten zu verkörpern. Wann immer bei ihm sonst das Saxofon reingejazzt hat, in den besten Zeiten von dem großen Brandford Marsalis bedient, erklingt jetzt der Teufelsgeiger.
Sting selbst macht nach wie vor einen beneidenswert definierten Eindruck. Der Vollbart vom letzten Winter ist einem glatten Kinn gewichen. Sein Haar wirkt etwas voller als zuletzt. Ich weiß nicht, ob man das durch Yoga schafft. Als er nach drei Songs seine Lederjacke ablegt, steht er im Muskelshirt in der empfindlich kühlen Berliner Luft. Aber es lohnt sich. Er sieht toll aus und muss sich wegen seines 65. Geburtstages im Herbst nicht grämen. Ein wenig kühl reagiert anfangs übrigens auch das Publikum, ab und zu muss Sting die Leute sogar zum Mitklatschen animieren, was bei einer Songauswahl mit dem Besten von früher durchaus ungewöhnlich ist.
Inhaltlich geht es bei dem Konzert ein bisschen hin und ein bisschen her. Am Ende werden es insgesamt acht Police-Stücke gewesen sein, dazwischen Lieder von fast allen Soloalben. Vor dem feinen "Mad about you" begrüßt Sting seine Zuschauer auf Deutsch: "Guten Abend meine Damen und Herren." Höflich ist er also auch noch. Bei "Invisible Sun" sind auf den beiden Videowänden Porträts von Flüchtlingen zu sehen. Und wieder einmal stellt sich die Frage, was dieses Ausstellen von Elendsbildern bei einem Popkonzert eigentlich soll. Haltung demonstrieren? Aufrütteln? Oder ist es nicht vielmehr so, dass eine Geste des guten Meinens in diesem Kontext zu einer obszönen Diashow missrät.
In den vergangenen Wochen war Sting gemeinsam mit Peter Gabriel auf Tournee durch Nordamerika, bei der sie zur Abwechslung mal ihr Repertoire getauscht haben. Auf solche Ideen kommt man, wenn man sonst schon alles probiert hat. Bei Sting ist aus diesem Projekt noch "Shock The Monkey" hängen geblieben, das er aber auch nicht anders interpretiert, als man es vom Peter Gabriel kennt. Interessanter ist da schon das Vorspiel zu "Dancing With The Moonlit Knight", im Original von der Genesis-LP "Selling England By The Pound". Das ist eine wunderschöne Melodie, zu der nun auch wirklich die Geige passt, Sting singt die erste Strophe beseelt und mit kraftvoller Stimme (an dieser Stelle Danke für den exzellenten Sound).
Das hätte man gern ausführlich gehört, aber dann ging dieser Artrock-Klassiker auch schon in den Popklassiker "Message in a Bottle" über. Auch nicht schlecht. Wie eine Flaschenpost aus den Achtzigerjahren spült der Abend Erinnerungen an den Strand des Bewusstseins, von denen man gar nicht mehr wusste, dass sie die ganze Zeit irgendwo verkorkt überdauert hatten. Bei "So Loneley" von The Police baut sich vom Schlagzeuger Vinnie Colaiuta getrieben endlich auch der vermisste Druck auf, da wird einmal nicht in die Breite gespielt, sondern in die Tiefe. Da passt die mentale Bundfaltenhose tadellos, herrlich.
Vom Publikum honoriert wird der Schlager "Englishman In New York", gut kommt natürlich auch "Roxanne" an, originalerweise ein schlichtes Stück Reggae plus Punkpop-Refrain. Sting breitet es, wie es nun mal seine Art ist, nach Lehrplan aus, lässt David Sancious am E-Piano Jazzrock antäuschen, leitet zum Bill-Withers-Cover "Ain't no Sunshine" über, um schließlich wieder bei der besungenen Freundin im roten Licht zu anzulangen. Dabei hätte alles so einfach sein können.
Die beiden gelungensten Interpretationen des Abends sind für mich "Shape of My Heart" und "Fragile". In ihrer schlichten Schönheit sind diese Lieder nicht mehr zu perfektionieren, nicht einmal durch Sting. Bei der Zugabe steht dann auch Joe Sumner wieder auf der Bühne, gemeinsam mit seiner kleinen Tochter. Sie gehört eigentlich ins Bett, tanzt hier aber zu "Next to You" herum. Opa hat's erlaubt.
(c) Berliner Zeitung by Frank Junghänel
Sting feiert in Berlin ein friedliches Fest...
Nach den Anschlägen in Deutschland hatte der Veranstalter des Konzertes von Sting in der Berliner Waldbühne aufgerüstet. Mehr Sicherheitsmaßnahmen, strenge Taschenkontrollen. Wer in der Schlange ausharrte, wurde belohnt mit vielen Hits und einem friedlichen Familienfest.
Sting war schon immer ein Mann der Wohltat. Beim ausverkauften Konzert am Montagabend in der Berliner Waldbühne besteht die Großzügigkeit darin, den Fans reichlich von dem zu geben, was sie wollen: viele Police-Hits und aus dem Solo-Werk möglichst die tanzbarsten Nummern. Der britische Superstar – juvenil, trainiert und drahtig wie eh und je – liefert, was bestellt wird.
Er steigt mit "Every Breath You Take" ein, später komplettieren "So Lonely”, "Message In A Bottle” und "Every Little Thing She Does Is Magic” das Konglomerat der Superhits von The Police, die Reggae, New Wave und Pop miteinander vermählten, sich aber nach fünf sagenhaft erfolgreichen Alben (vier davon auf Platz 1 der britischen Charts) voneinander genervt trennten. Sogar von Tourbus-Schlägereien waren zu hören.
Mittlerweile sind Prügeleien bei Sting so undenkbar wie ein Bierbauch. Der diesmal bartlose Menschenrechts-, Klimaschutz-, Regenwald- und Kinder-in-Afrika-Unterstützer feiert ein friedliches Familienfest. Und das der allgegenwärtigen Anschlagsgefahr unserer Zeit zum Trotz.
Wer die deshalb erhöhten Sicherheitsvorkehrungen samt doppelter Taschenkontrollen durchlaufen hat, erlebt Stings Sohnemann Joe Sumner, der mit melodiösen Fahrstuhl-Folk als Vorband des Vaters auftritt. Die anschließende knapp zweistündige Rundreise durch das mittels jahrzehntelanger Radioberieselung ins Hirns gebrannte Hit-Repertoire endet bei den Zugaben mit "Desert Rose" und "Fragile" bedächtig. Von der Zerbrechlichkeit des Menschen ist darin die Rede.
Wie wahr, wie wahr – und so zerbrechlich ist auch der Frieden. An diesen Abend aber bleibt er bestehen. Die 22,000 Fans applaudieren laut, happy end.
(c) Märkische Allgemeine by Maurice Wojach