"Roxanne" vs. "Cecilia" - Sting & Paul Simon begeisterten in Wien...
Treffen sich zwei Wohnungsnachbarn, sagt der eine: "Machen wir eine gemeinsame Tournee?", sagt der andere: "Warum nicht?". Was wie ein Treppenwitz ohne Pointe klingt, sorgte im Vorjahr in den USA für Furore. Gestern, Mittwoch, ist dieser Pophybrid von Sting und Paul Simon in Wien zu sehen gewesen - eine 180-minütige Leistungsschau, durchtränkt von feinster Spiellaune, hohem Niveau und 1-A-Songs.
20 Jahre lang bewohnten Sting und Paul Simon dasselbe Haus in Manhattan, man traf sich ab und zu im Lift, borgte sich Milch oder Zucker, manchmal spielten sie einander ihre Musik vor. 2013 wurden beide für eine Charity-Gala gebucht, kurzerhand beschlossen sie, bei dieser Gelegenheit gemeinsame Sache zu machen. Das funktionierte derart gut, dass sie eine Tournee in Angriff nahmen - 21 Konzerte in den USA im Vorjahr mit einer Fortsetzung in Down Under, seit März steht Europa auf dem Programm.
Stellt sich die Frage: Der Artfolk-Architekt und der New-Wave-Pionier - wie soll das zusammengehen? Ganz einfach: Weil Sting (63, Vollbart, fliehende Stirn) in seinem Solo-Oeuvre auf post-punkige Ausprägungen zur Gänze verzichtet hat und Paul Simon (73, rasiert, mit Hut, damit drunter nichts abhaut) auch Kompositionen fernab von Lagerfeuerromantik samt ersten feuchten, durch Zahnspangen erschwerte Küsse zu Papier gebracht hat, kommt man mit etlichen musik-mathemischen Operationen schon auf eine annehmbare Gleichung. Der Umkehrschluss ist ihr Zugang zur Weltmusik und ihr unverkennbares Faible für Reggae, beides liefert die Grundlage für mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Dass beide ein Musical auf die Bühne gebracht haben und damit ordentlich auf die Schnauze gefallen sind, lassen wir jetzt mal unerwähnt.
Also: Keine beschränkten Berührungspunkte, dafür aber eine mehrfach in sich verschränkte Darbietung. Schon der erste Blick in die Halle ließ vermuten: Da wird heute Abend viel gearbeitet werden. Gleich dem Finale eines bezirksweiten Musikschulwettbewerbs präsentierte sich die Bühne vollgeräumt mit Instrumenten aller Kategorien. Beide Herren hatten ihre Entourage (16 Musiker) mit dabei - offene Türen und Tore für einen Synergieflow sondergleichen. Der bescheidene Beleuchtungsaufbau, dem später aber reichlich Lichtstimmung entsprang, verstand sich als Absage an jegliche Ablenkung durch High-Tech-Effektefirlefanz und machte damit klar, was es einzig und allein für einen fulminanten Konzertabend braucht: Gute Songs.
Und derer gab es 33 Stück. "On Stage Together" nennt sich die Tournee. Und das ist weitestgehend wörtlich zu nehmen. Mit einem Appetizer im Viererpack - "Brand New Day", "Boy In The Bubble" (mit Startschwierigkeiten), "Fields Of Gold" und "Mother And Child Reunion" eröffneten sie die hochwertige Retroparty und boten damit Einblick auf das, was noch kommen sollte. Je zwei solistische Kurzsets, unterbrochen von Duetten, wo der eine des anderen Liedgut intoniert und vice versa. Als erster "Solist" war Sting an der Reihe, der, plötzlich allein gelassen sicherlich nicht zufällig "So Lonely", aufgemotzt mit einem fantastischen Tuba-Gesang-Dialog, zum Vortrage brachte.
Simon punktete erwartbarerweise am stärksten mit seinen "Graceland"- Hits "Diamonds On The Soles Of Her Shoes" und "You Can Call Me Al". Welch genialer Songwriter er aber ist, zeigte er auch und vor allem mit weniger prominenten Titeln a la "Hearts And Bones" oder "That Was Your Mother". So sehr die Stars des Abends auf der Bühnenrampe glänzten, die beiden Bands im Hintergrund ließen einen schreien vor Glück - in Gedanken, versteht sich. Wohl mit ein Grund, warum beim durchgehend bestuhlten Konzert soviel gestanden, getanzt und gehüpft wurde.
Wer jetzt wem noch einmal die vollen großen Hallen zu verdanken hat, soll beantworten wer will. Die Sting- und Simon-Fan-Fraktionen lagen sich nach kürzester Zeit in den Armen. "Mrs. Robinson", "Fragile" oder "Bridge Over Troubled Water" im Duett können zwar ganz schön ins Auge gehen, das Gegenteil war aber der Fall. Die Unterschiede zwischen den beiden Legenden bezüglich Provenienz, musikalischem Background, Körpergröße und Alter ließen sich schlagzeilenartig reduzieren auf ein "Roxanne vs. Cecilia". Aber das wäre falsch, denn das "vs." ist im Sinne des Abendmottos "Together" mit einem "&" zu ersetzen. Und ist es nicht so, dass hinter zwei erfolgreichen Männern immer zwei Frauen stehen? So seien stellvertretend für die Gesamtdarbietung die beiden Damen für dieses wahre Konzert-Highlight verantwortlich gemacht, das durchaus Möglichkeiten für ein vielleicht künftiges Joint Venture eröffnet: Art Garfunkel & The Police.
(c) Tiroler Tageszeitung