Gute Nachbarn...
Die Ausgangslage war spannend: Zwei Singer/Songwriter aus unterschiedlichen Generationen, mit verschiedenem Hintergrund bestreiten gemeinsam einen Abend. Hier Paul Simon aus New York, Jahrgang 1941, in den sechziger Jahren Kopf des Folk-Duos Simon & Garfunkel; dort Sting aus Nordengland, Jahrgang 1951, Ende der siebziger Jahre Kopf des peroxid-blonden New-Wave-Pop-Trios The Police. Beide sind seit geraumer Zeit solo unterwegs und beide sind weite Wege gegangen, auf denen sie Puristen sowie ihr eigenes Publikum zeitweise etwas verstört haben.
Die Ankündigung eines gemeinsamen Konzertes erstaunt nicht mehr, wenn man weiss, dass die beiden New Yorker Nachbarn sind. Dennoch konnte man sich nicht genau vorstellen, was die beiden miteinander anstellen würden; umso weniger, als sie mit ihren kompletten Bands antraten. Die Antwort kam bereits mit dem ersten Song. Beide Bands, insgesamt 16 Musiker und eine Sängerin, betraten gemeinsam die Bühne und spielten "Brand New Day" von Sting, der Paul Simon eine Strophe überliess. Dasselbe passierte in umgekehrter Richtung in Simons "Boy In The Bubble". Eine Absichtserklärung: Dies sollte keine Battle of the Bands werden, sondern ein gemeinsames Musizieren. Nach einem anfänglichen Song-Ping-Pong spielte Sting ein eigenes längeres Set, immer wieder stiessen Musiker aus Simons Band hinzu.
Es war gerade die Fülle an instrumentalen Möglichkeiten, die diesen Abend über weite Strecken zum Genuss machte. Mehrere Musiker aus Simons elfköpfiger Truppe sind Multiinstrumentalisten, wechseln gekonnt von der Gitarre zum Saxofon, vom Piano zur Perkussion. Ein Rock-Pop-Orchester mit endlosen Möglichkeiten – und einigen herausragenden Persönlichkeiten wie dem Schlagzeuger Vinnie Colaiutu oder dem Pianisten David Sancious aus Stings Band. So war an jeder Ecke für Überraschungen gesorgt, selbst sattsam bekannte Songs klangen – etwa durch ein Tuba-Solo – wieder spannend.
Die grösste Überraschung boten allerdings die beiden älteren Sänger durch ihre vokale Fitness. Bei aller Freude war ein gewisses Gefälle auf hohem Niveau auszumachen. Sting ist ein guter Sänger und ein wunderbarer Interpret fremder Songs. Das bewies er etwa als Ersatz für Art Garfunkel in "Bridge Over Troubled Water". Kompositorisch allerdings kann er dem älteren Amerikaner das Wasser nicht reichen. Sting liebt grosse Gesten, punktete bei den 9000 Zuhörerinnen und Zuhörern mit seinen grossen Hits, von "Roxanne" bis "Every Breath You Take" – letzteren im sehr schönen Duett mit Simon. Neben diesen prägnanten Stücken gab er aber auch weniger prägnante Lieder wie "The End Of The Game" zum Besten.
Simon, der als notorisch mürrischer Perfektionist gilt, wirkte entspannt, liess sich vom selbst vermasselten Intro zu "The Boxer" nicht durcheinanderbringen und offenbarte so eine ungeahnte spielerische Seite. Er zelebrierte Songs aus seiner langen Karriere, liess dabei einige bekannte Stücke aus, besuchte dafür weniger bekannte Gegenden seines Schaffens. Hits wie "You Can Call Me Al" oder "Me And Julio" kontrastierte er mit Trouvaillen wie das wenig publikumsfreundliche, meditative "The Cool Cool River" aus dem unterschätzten Album "Rhythm Of The Saints". Insgesamt waren das 160 wunderbare Minuten, mit viel Abwechslung und viel Raffinement, mit vielfältiger und meistens hervorragend gespielter Musik.
(c) Neue Zürcher Zeitung by Eric Facon