Pop fuer Fortgeschrittene - Stings eklektisches Potpourri im Hallenstadion...
Die 44jaehrige britische Pop-Ikone Sting steht fuer die intelligente Ausbeutung unterschiedlichster musikalischer Stilrichtungen. Waren es zu Police-Zeiten noch simpel und effektvoll gestrickte Rock und Reggaesounds als bewusste Gegenpositionen zur bluehenden Punkbewegung in England, besann sich Sting als Solokuenstler seiner musikalischen Wurzeln. Der passable (Jazz-)Bassist umgibt sich im Studio und on stage stets mit erstklassigen Jazzmusikern. Doch auf der kargen Buehne des fast vollen Hallenstadions zeigt sich an diesem unterhaltsamen Abend einmal mehr, dass Sting als Instrumentalist seinen musikalischen Mitstreiten nicht ganz das Wasser reichen kann.
Ein etwas ueberdreht wirkender Vinnie Colaiuta am Schlagzeug etwa ergeht sich zwischendurch in Betrachtungen seines zarten Bauchansatzes, zeigt Konzentrationsprobleme und ueberzeugt dennoch weitgehend. Das diskrete Gitarrenspiel Dominic Millers ist durchwegs inspiriert, hat jedoch wie die energiegeladene, zweikoepfige Horn-Section streckenweise einen schweren Stand gegenueber der Rhythmusgruppe. Fuer einen Hoehepunkt sorgt Keyboarder Kenny Kirkland mit einem zehnminuetigen Solo. Dass Sting bei seinen Kollegen trotz evidenten Limiten seines soliden Bassspiels den noetigen Respekt als Musiker erfaehrt, liegt wohl an seinen unbestrittenen Qualitaeten als intelligenter Songwriter. Auf der Buehne ueberzeugt er zudem als Frontmann mit hoher Praesenz, Charisma und einer unverwechselbaren,
glasklaren Stimme. Diese Stimme ist seit den Anfaengen der bald 20jaehrigen Karriere Stings Markenzeichen, die interessante, vielschichtige und engagierte Persoenlichkeit hat indessen laengst ebenso grossen Anteil am Erfolg des Markenartikels Sting.
Aus aermlichen Verhaeltnissen zum Schlossbesitzer avanciert, versucht er sich glaubwuerdig als Brecht-Interpret, dreht Filme, rettet den Regenwald, engagiert sich fuer Amnesty International, praktiziert stundenlang tantrische Liebesrituale, ist fuenffacher Familienvater, hat ein gutes Wort fuer den Papst uebrig und prinzipiell nichts gegen Ecstasy. Das (auch am Zuercher Konzert) aeusserst heterogene Publikum verehrt ihn trotzdem - oder gerade darum. Ist es die Bewunderung fuer einen Menschen, der in einem Zeitalter zunehmender Orientierungslosigkeit mit sich und der Welt ins Reine gekommen ist - der im Supermarkt gesellschaftlicher Stroemungen und Phaenomene immer intuitiv die besten Schnaeppchen findet? Sting, der ehrgeizige Bildungsbuerger, der es in jeder Hinsicht versteht,
unverschaemt intelligent zu klauen und daraus einen sueffigen Cocktail zu brauen, der allen schmeckt, Gordon Matthew Sumner, alias Sting, steht dazu; blauaeugig, mit einer gewissen Portion Naivitaet und wohl ohne Berechnung. Letzteres macht ihn sympathisch. 'Mercury Falling', das aktuelle Album widmet er nicht zufaellig Merkur, dem Gott der Kaufleute und Diebe. Der Titel steht wohl auch fuer seine quecksilbrige, kreative Sprunghaftigkeit.
Wie schnell die Stimmungskurve auch im Auditorium umschlagen kann, zeigte sich an diesem Abend mehrmals. Zwischen zwei Bloecken mit Songs der neuen, vielfach unterschaetzten CD folgten jeweils heftig akklamierte Sting- bzw. Police-Hits. Erwaehnt sei die hoerenswerte Jam-Session rund um den Police-Gassenhauer 'Roxanne'>. Mit aggressiv interpretierten Songs wie 'Demolition Man' flachte die Stimmung neuerlich ab, ehe ein letztes Paket bekannter Songs fuer einen stimmigen Abschluss sorgte.
(c) Neue Zuercher Zeitung