Sei du selbst, egal was sie sagen...
So sind sie, seine Songs. Und so ist er, der Star, der auf 45 Jahre Karriere zurückblickt: Für jedes Problem findet Sting das richtige Wort, auch wenn er sich auf der Bühne im Mainzer Volkspark wortkarg gibt.
Die urbane Grünfläche wird ihrem Namen voll gerecht – im Mainzer Volkspark herrscht Ausnahmezustand. Tausende tummeln sich bei tropischen Temperaturen in der geräumigen Anlage auf dem Gebiet des ehemaligen Forts Weisenau. Sie nutzen das Areal, das vor einigen Wochen für die Veranstaltungsreihe "Summer in the City“ eingezäunt wurde, und das weitläufige Gelände drumherum, in diesem Fall als kostenbewusste Zaungäste. Durch die Hitze der vergangenen Wochen zeigt sich das grüne Idyll steppenartig in sandigen Erdfarben, für Recht und Ordnung innerhalb des erklecklichen Menschenauflaufs sorgt die Polizei.
Für den Abend ist ein Künstler angekündigt, der aller Welt seit Jahrzehnten als Sprachrohr für eine bessere Zukunft gilt: Sting. Bislang hat Gordon Matthew Thomas Sumner, so sein bürgerlicher Name, noch stets die passenden Worte für jede Situation gefunden, ob es um den angegriffenen Zustand des Planeten im Allgemeinen oder den des südamerikanischen Regenwalds im Besonderen geht, um die politische Lage der Gegenwart, das Befinden des Einzelnen im sozialen Kollektiv oder den Seelenzustand des sensiblen Künstlers selbst. Sachverstand gepaart mit gewiefter Rhetorik macht einen nicht unmaßgeblichen Teil des facettenreichen Erscheinungsbilds des britischen Multitalents aus. Sie verhalfen Sting zusammen mit seinem reichen Talent als Sänger, Bassist, Komponist und Texter zum Jahrzehnte überdauernden Weltstar-Status.
45 Jahre ist es her, dass er in London zusammen mit dem Schlagzeuger Stewart Copeland und dem Gitarristen Henri Padovani, der schon bald darauf durch Andy Summers abgelöst wurde, das Trio The Police gründete. In der seit Monaten auf Tournee befindlichen Werkschau "My Songs“ arbeitet Sting seine künstlerische Geschichte auf. Als er im März 2022 in der Mannheimer SAP-Arena gastierte, richtete er zwischen den Songs gewichtige Worte an sein Auditorium. Im Volkspark zieht der noch immer drahtig schlanke Siebzigjährige hingegen das angloamerikanische Künstlercredo "Let the music do the talking“ vor, sein Wortschatz beinhaltet lediglich Knappes wie "Danke, Mainz“.
"Message In A Bottle“, der erste von insgesamt sieben Songs aus der Police-Ära, macht da symbolhaft den Anfang. Ein erster Höhepunkt, der die Besucherschar minutenlang miteinbezieht, folgt auf dem Fuße. "Englishman In New York“, Stings Hommage an den britischen Schwulenaktivisten, Lebenskünstler und Buchautoren Quentin Crisp, beinhaltet den sloganhaften Refrain "Be yourself – no matter what they say“. Auch in den Klassikern "Rushing Water“, "If It’s Love“, "Fields Of Gold“, "Heavy Cloud No Rain“ oder "If I Ever Lose My Faith In You“ finden sich pragmatische Lebenshilfen.
Zumal die Akustik sich in ausgezeichneter Klangbalance befindet und die Band in Stings Rücken, die aus dem Neu-Schlagzeuger Josh Freese, Kevon Webster (Keyboards), Shane Sager (Mundharmonika), Dominic Miller und seinem Sohn Rufus (beide E-Gitarre) sowie den Harmonievokalisten Melissa Musique und Gene Noble besteht, sich als exzellent erweist. Nicht nur beim einst zusammen mit Stevie Wonder geschriebenen Song "Brand New Day“ greift der blutjunge Sager virtuos zur Mundharmonika. Der Harmonievokalist Noble assistiert für das R’n’B-Duett "Shape Of My Heart“.
"Walking On The Moon“, einst in einem Münchner Hotelzimmer bei Vollmond entstanden, hat, so wie der Rest der versammelten Police-Klassiker, "So Lonely“, "King Of Pain“, "Every Breath You Take“ und "Every Little Thing She Does Is Magic“, nichts von seiner Magie eingebüßt.
Beim arabisch inspirierten "Desert Rose“ liefern Dominic und Rufus Miller zweistimmige Gitarrensternstunden ab. Beim vorletzten Song "King Of Pain“ bittet Sting für ein weiteres Duett seinen Sohn Joe Sumner ins Rampenlicht. Der Filius hatte auch das Vorprogramm bestritten, besitzt aber nicht die Klasse des Papas. Trotzdem darf er seine Stimme auch beim Gassenhauer "Every Breath You Take“ erheben. Nach etwas mehr als 70 Minuten endet der offizielle Teil. Für ein kraftvolles "Roxanne“ mit längerem Reggae-Jam sowie die still eindrucksvolle Ballade "Fragile“ mit Sting an der Akustikgitarre kehrt das Team noch einmal unter stürmischem Applaus zurück.
(c) Frankfurter Allgemeine by Michael Köhler