Die Revolution ist zu Ende - Sting auf Deutschlandtournee im Velodrom...
MiNiemand könne diese Welt perfektionieren, das hat Sting zuletzt erklärt: ''Leute, die denken, dass sie es könnten, sind höchst gefährlich.'' Auch Strontium 90, ein Quartett des Jahres '76, wollte diese Welt erschrecken. Selbst Punkrock war nur ein Versuch, das Grauen einzudämmen und Bands wie Genesis zu sabotieren. Strontium 90 klang genial gefährlich, später wurde The Police daraus. Das Ende ist bekannt: Von Jahr zu Jahr steht ihr Bassist und Sänger auf der Bühne, singt Every Breath You Take. Und alle singen mit. Er hat den Pop anstelle dieser Welt perfekt gemacht. Er ist und bleibt ein guter Mensch.
Nein, dies ist nicht das übliche Lamento eines müden Veteranen. Es soll eine Laudatio sein. Auf einen Mann, der freundlich vor die Leute tritt, der die Konzerte präsentieren lässt vom Weltmarktführer im Computerhandel, der singt ''Steht auf, ihr Liebenden der Welt!'' Ein Star, der Pop auf seine Art als Utopie verstanden hat. Denn Pop ist immer so verwirrend. Da spiegeln sich die Zeichen an der Oberfläche, und es macht Mühe, sie zu deuten. Und seine schönsten Soundtracks sind so elitär.
Bei Sting ist alles andersrum. Er überlädt die Lieder, die er singt, mit viel Musik und tiefer Poesie. Dann steht er in Berlin im Velodrom, in einer ausverkauften Radsporthalle, und hält mit seinem Bass die beste Band zusammen, die sich für Tourneen rekrutieren lässt. Die Band mischt Reggae, Rock und Raï, verirrt sich virtuos im Jazz. Doch irgendwie gelingt es Sting auch dieses Mal, den Eindruck zu erwecken, dass seine Songs nicht komplizierter sind als Stücke von Bryan Adams und Phil Collins. Auch dafür wird er hoch verehrt, zu recht, denn manchmal ist die Masse klüger als das der Einzelne ganz gerne denkt.
Es ist sein arglos heiseres Falsett, das im Verlauf des Abends immer dünner und intimer wird. Es sind die kleinen Späße, die er mit sich selber treibt. Der Kratzfuß und das radebrechende Zitat aus der Dreigroschenoper. Und seine Bühnenbilder sind naiv, doch immer noch von schlichter Opulenz, dass jede Stoffbahn, die zu Boden sinkt, die Menschen staunend jubeln lässt. Zu Desert Rose lässt er aus Seide Wüstenfeuer lodern. Der Moon Over Bourbon Street hängt prall im Raum, wenn Sting mit Satchmos Stimme singt. Roxanne, die Hure, strahlt in rotem Licht, sein Englishman verliert sich vor New Yorker Nachtfassaden.
Soviel Leichtigkeit war nie, wenn Sting vor seine Menschheit trat. Er hatte sie behelligt mit dem Leid politischer Gefangener und abgeholzten Regenwäldern. Dann hat er das Private offenbart. Dass er der Sohn des Milchmanns war, von wem die vielen Kinder sind, die mit in seinem Schlösschen wohnen, dass er gelegentlich nach Indien fliegt und dass, seitdem er Tantra kann, sein Liebesleben besser ist.
An diesem Abend ist er nicht privat und nicht politisch, ist nur noch Pop in harmloser Vollkommenheit. ''Ich kann in meinem Alter nicht mehr revolutionär sein'', hat Sting im Jahr 2000 schon erklärt, und auch die Welt ist mit ihm alt geworden.
(c) Die Welt by Michael Pilz
Ansturm auf Sting - Konzert in Berlin...
In langen Schlangen standen gestern Abend die Rockmusik-Fans vor dem Velodrom. Sie warteten auf den Einlass um 18 Uhr 30 zum Konzert des britischen Popstars Sting. Über 9000 Karten gingen für die zweistündige Show schon im Vorverkauf weg wie die warmen Semmeln. Die Halle im Prenzlauer Berg war fast ausverkauft.
Nach Hamburg am Mittwoch ist Berlin die siebte Station seiner Deutschland-Tournee. Zwei Konzerte musste der Ex-Police-Man schon absagen - wegen einer Erkältung. Auf der Tour quer durch die Bundesrepublik - ohne Vorband - präsentiert Sting seinen Fans sein neues Album Brand New Day.
Ein bisschen Ethno-Pop, jazzige Arrangements, auch HipHop und Gospel-Einflüsse, sogar Techno und Breakbeat lässt der 48-jährige Musiker darauf hören. Bei den Konzerten spielt eine siebenköpfige Top-Band an seiner Seite. Versteht sich - Qualität war für Sting schon immer oberstes Gebot.
(c) Berliner Zeitung
Der Mond geht auf über New Orleans...
Zurücklehnen und genießen: Superstar Sting auf 'Brand New Day'-Tour im Velodrom. In der Ruhe liegt die Kraft. Nicht nur auf Yoga-Übungen trifft dieser Satz zu, er lässt sich in vielen Fällen auch auf die Musik anwenden. Gerade wenn es sich um einen Künstler handelt, der sich im Lauf der Jahrzehnte vom heißblütigen Punkrebellen zum hochkarätigen Soundtüftler gewandelt hat. Die Fans, die zu Sting ins ausverkaufte Velodrom gepilgert sind, erwarten alles andere als eine wilde Party. Was der britische Popstar bietet, ist schlicht und ergreifend Musik zum Genießen.
Das aktuelle Album 'Brand New Day', mit dem der heute 48-Jährige zur Zeit auf Tournee ist, wird diesem Anspruch vielleicht noch mehr gerecht als frühere Werke des Ex-Police-Frontmanns. Ausgesprochen ruhige Songs prägen diese Platte, die trotz komplexer Kompositionen und stilistischer Überraschungen viele Ohrwürmer bietet und damit wieder erfolgreich jene schmale Gratwanderung absolviert, die dem einstigen Englischlehrer aus Newcastle ein breites Publikum sichert.
Sting verzweifelt schon lange nicht mehr an dieser Welt. Seine Texte vermitteln viel mehr die private Sichtweise eines mit sich und seiner Umgebung recht zufriedenen Mannes im gesetzten Alter. Lasst uns gute Musik machen, scheint heute die einzige Botschaft zu sein. Oder: Wer Sting zuhört, hat einen guten Geschmack. Dem gehobenen Niveau der Musik soll im Konzert das Bühnenbild entsprechen, doch das ist leider weit weniger gelungen. Die Kulissen sehen ein bisschen so aus, als habe sie die Gardinenfirma mit der Goldkante in Gemeinschaftsarbeit mit einem schwedischen Möbelhaus entworfen. Schwamm drüber: Vom ersten Song 'Thousand Years' an, dem Opener der neuen CD, dominieren die akustischen Reize.
An der Strategie, bei Live-Auftritten das neue Material möglichst studiogetreu zu präsentieren, Hits von damals hingegen ein völlig neues musikalisches Outfit zu verleihen, hält Sting weiterhin fest. Ein ideales Rezept, dem Abend trotz der insgesamt relaxten Atmosphäre eine spannungsgeladene Dramaturgie zu verschaffen. Vor allem, wenn man sich auf so versierte Mitmusiker wie den introvertierten, aber äußerst effektiven Trompeter Chris Botti, den mal rockigen, dann wieder unendlich sanften Gitarristen Dominic Miller oder den nebenher noch auf Französisch rappenden Drummer Manu Katché verlassen kann.
Obwohl Cheb Mami, der algerische Rai-Star, live nicht dabei sein kann, bringt die achtköpfige Band den Song 'Desert Rose' mit seinen Ausflügen in den Orient mindestens genauso stimmungsvoll zur Geltung wie auf der Platte, und auch Fill her Up mit Anleihen aus Country und Gospel kommt gut rüber.
Nicht nur die Begleitmusiker, die immer wieder mit jazzigen Solopassagen glänzen dürfen, auch der Meister selbst zeigt sich, mal mit Bass, mal mit der Gitarre, in guter Form. Obgleich die Unbilden des Februarwetters auch seine Kehle offenbar nicht verschont haben. Dass er 'Bourbon Street' im Stile eines Louis Armstrong singt, ist hingegen Absicht. Nie klang dieser Klassiker so jazzig, und der Mond geht hier wirklich über New Orleans auf.
Überhaupt, die alten Songs: So raffiniert umarrangiert, erklingen 'Englishman in New York', 'Set Them Free' oder 'Roxanne' wie neue Kompositionen, ohne dass dabei auf den Wiedererkennungseffekt verzichtet wird. Und dass die Fans immer wieder mal mitsingen dürfen, bewahrt den Abend vor drohender Lethargie. Als zum Ausklang der alte Police-Hit 'Message In A Bottle' sowie Fragile gefühlsreich zur Gitarre erklingen, sieht man ringsherum im Publikum nur noch glänzende Augen.
(c) Berliner Morgenpost by Uwe Sauerwein