Message auf der Laute...
Yoga für die Ohren: In der Philharmonie zelebrierte Sting die spätmittelalterlichen Lautensongs von John Dowland als Wurzel des britischen Pop - und zeigte sich selbst als einen in Würde
Früher oder später erwischt es sie offenbar alle. Irgendwann drängt es die Großkünstler der New-Wave-Ära mit aller Macht in die Sphären der Hochkultur. Elvis Costello zog es mit der Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter und dem Brodsky-Quartett aufs klassische Parkett. Joe Jackson hat sich auf seinen letzten Alben immer mehr zwischen Klassik, Jazz und sinfonischen Pop-Kompositionen verloren. Und auch David Byrne versuchte sich schon an diversen Ambient-Soundtracks, Theatermusiken und Pop-Opern. Da wundert es nicht, dass auch Sting nun das U für ein E eingetauscht hat.
In den vergangenen Jahren hat er die Lautenmusik der Renaissancezeit für sich entdeckt und Übungsstunden auf dem Instrument genommen. Sting wäre aber nicht Sting, würde er nicht die ganze Welt an seinen Fingerübungen auf der Laute teilhaben lassen. Sein letztes Album 'Songs from the Labyrinth' erschien auf dem renommierten Klassik-Label ''Deutsche Grammophon'', dessen Signet stolz auf dem Cover prangt. Nun trägt er seine Botschaft auf der Laute in die Konzertsäle der Welt. Am Montagabend war die Berliner Philharmonie dran.
Jedem Anfang aber wohnt ein Zaudern inne. Der bosnische Lautenspieler Edin Karamazov eröffnete den Abend rein instrumental und gab unter anderem virtuose Bach-Variationen zum Besten. Mit seinem roten Samtjackett, der schwarzen Hose und der Prinz-Eisenherz-Frisur wirkte er selbst ein wenig wie ein Minnesänger aus vergangenen Zeiten. Dann erst trat Sting auf die Bühne, um schweigsam neben ihm Platz zu nehmen. So wirkten die beiden zunächst wie Meister und schüchterner Schüler. Erst mit der Zeit verlagerte sich der Fokus des Konzerts unvermeidlich auf den Popstar.
Im Stil eines Märchenonkels führte Sting durch den Abend, vom Scheinwerferlicht milde angestrahlt. Er erzählte die Geschichte von John Dowland, dem größten Lautenspieler seiner Zeit, der im 16. Jahrhundert die höfischen Lieder zur instrumentalen Kunstform erhob. Und er erzählte, wie Dowland erhoffte, am Hofe der protestantischen Königin Elisabeths I. eine Anstellung zu finden, aber als Katholik zunächst keine Chance bekam. So tingelte er quer durch Europa, von Dänemark bis Italien, von Königshof zu Königshof, bevor er wieder in seine Heimat zurückkehrte. Es war einmal in England.
Sting sang die Poeme aus elisabethanischer Zeit angemessen getragen, aber seine charakteristische Stimme blieb brüchig. Dramaturgisch effektvoll wechselte die Zahl der Hintergrundsänger auf der Bühne mit jedem Song, wenn auch der gemischte Chor von ''Stilo Antico'' eher unterfordert wirkte.
In den letzten Jahrzehnten ist Dowland als Ahnherr einer leisen, fragilen Liedtradition wiederentdeckt worden. Sting hat sich an diesen Zug nur angehängt. Aber der Streit darüber, ob das nun bloß die Ranschmeiße eines etablierten Rockstars ist oder doch ein Beitrag zur Popularisierung eines Genres, ist müßig. Sting zelebrierte Dowlands spätmittelalterliche Musik als eine Wurzel des britischen Pop. Und warum auch nicht? Als er zur Zugabe eigene Stücke wie 'Fields of Gold' und 'Message in a Bottle' auf der Laute spielte, fügte sich das nahtlos ein.
Freunde der mittelalterlichen Musik dürften die Songs von John Dowland vielleicht schon besser gehört haben. Aber für sein Publikum, das ihn als Popsänger mag, zeigt Sting einen Weg, wie sich als Popstar in Würde altern lässt. Schließlich, das muss man sagen, sieht er mit seinen 55 Jahren immer noch unverschämt gut aus: drahtig, schlank, jungenhaft. Das jahrelange Yoga-Training hat sich offenbar ausgezahlt. Nun zelebrierte er seine Renaissance-Musik als so etwas wie Yoga für die Ohren.
(c) Die Tageszeitung by Daniel Bax
Sting singt Renaissancelieder von John Dowland in der Berliner Philharmonie...
Wäre der Lautenist Edin Karamazov eine Diva - die Menschen würden ihm zu Füßen liegen. Jetzt liegen sie ihm auch zu Füßen, zwangsläufig, schließlich gilt die Laute seit jeher als eines der anspruchsvollsten Saiten-respektive Zupfinstrumente. Und Karamazov, nicht faul, geht in der Philharmonie aufs Ganze, wirft seine haselnussbraune Schnittlauchtolle von rechts nach links, nach vorne, kriecht tief in den Corpus des Instruments hinein, bäumt sich auf, als wäre er selbst der Troubadour, auf einem schäumenden Araberhengst unterm Fensterchen der Liebsten in Positur sich werfend.
Mit einer eher peinlichen Bach-Toccata und anderen theatralischen Fingerübungen indes dürfte deren Herz ebenso wenig zu gewinnen sein wie das des Publikums. Nach gut 25 Minuten aber, just als die kollektive Geduld zu erlahmen droht und auch die bunten Spielchen der Lichtanlage nicht mehr helfen und die Perserteppiche auf dem Podium eine stickige Müdigkeit zu verbreiten beginnen - da kommt er. Sting. Ganz der unermüdliche Arbeiter im Dienste der Menschheit. Und der Kunst. Der Gutmensch und politisch Korrekte mit dem gepflegten Reibeisenorgan. Der Autodidakt, der, wie er sagt, gar keine Wahl hatte. Die Lieder John Dowlands, diese Karfunkelsteine der englischen Renaissance, würden ihn seit 20 Jahren verfolgen. Irgendwann, ermutigt von der Pianistin Katia Labèque und bestärkt durch Karamazovs Kompetenz, hat er sich schließlich ergeben, sich hingegeben. Sting singt Dowland - etwas Einträglicheres, Ehrlicheres in Sachen Crossover hätte der Plattenindustrie kaum passieren können.
Sting nimmt also Platz, rückt Noten und Mikro zurecht - und beginnt. Ein wenig lampenfiebrig noch und beklommen während der ersten Nummern, als müsste er die Resonanzen in Kopf und Herz an diesem Abend in diesem Saal erst ausloten, neu justieren. Erstaunlich: Die Stimme - und das hat mit der elektronischen Verstärkung nichts zu tun - klingt voluminöser, reicher, farbiger als auf der CD. Vor allem in der Tiefe, die bisweilen orgelt und gurgelt, als betrachte der Sänger sein alter ego Dowland tatsächlich im Wellenspiel eines mittelalterlichen Wassergrabens. Ein sauber intonierender Chor (Stile Antico) sorgt derweil für etwas mehr klangliche Unterfütterung, die Anekdötchen aus Dowlands bewegtem Leben strecken beileibe nicht nur die Zeit, manches davon bietet der Sänger gar in tadellosem Deutsch feil - die Stimmung löst sich.
Ob Sting nun die Töne und Tonhöhen immer perfekt zu halten weiß, ob er musikalisch frei und in der einzelnen Phrasierung weich genug ist, bei kleineren Fehlern oder Verschleppern richtig zu reagieren - geschenkt. Hier sitzt (später: steht) ein Mensch, der seiner Leidenschaft huldigt. Professionell, aber nicht unfehlbar. Der so singt, wie man sich vorstellt, dass man selber sänge, wenn man die Liebe nur hätte und sich traute vor dem großen John Dowland und dem weiten Rest der Musikwelt. Am schönsten vielleicht: die Emphase in 'Clear or cloudy', die gallige Schwärze von 'In darkness let me dwell'. Musik, die tröstet, weil sie so alt ist und trotzdem noch heil. Schade, dass Sting nicht mehr Lieder im Programm führt. Listiges Augenzwinkern also zum Finale und: ein bisschen Police. Für alle, die dachten, sie seien in der falschen Veranstaltung gelandet. Ovationen. So oder so.
(c) Der Tagesspiegel by Christine Lemke-Matwey
Play it Laute - Sting singt Klassisches...
Der englische Komponist John Dowland liegt seit 328 Jahren unter der Erde. Jetzt ist er wieder da. Dank Sting. Der hat eine Dowland-Platte aufgenommen und singt seine Lautenlieder im Konzert. Die Tenor-Kritk fällt gar nicht so schlimm aus.
Als er nach 55 Minuten in den Zugabenblock einbiegt und mit 'Fields of Gold', wenn auch sich selbst auf der Laute begleitend, auf für alle vertrautes Terrain einbiegt, geht ein Erleichterungsjauchzer durchs Publikum. Erst recht, als dann noch 'Message in a Bottle' in der gezupften Renaissance-Variante anhebt. Plötzlich scheint bei diesem denkwürdigen Sting-Auftritt in der Berliner Philharmonie die seltsam verklemmte Spannung, dieses ''Wir müssen jetzt ganz stark sein''-Gefühl des alles ertragen Wollens, alles ertragen Müssens wie verflogen.
Dabei war es gar nicht so schlimm. Im ausverkauften Saal hatte sich ein demografisch perfekt gemischtes Publikum versammelt, Fans, Freaks und Müsli-Fraktion, ein adrett geschorener Punk mit hinten Sex Pistols auf der Jacke und vorn Sting-Konterfei auf dem T-Shirt, viele rotgefärbte Damen in wallender Wolle und ephebische Jünglinge mit Ohrring.
Sie alle wären sicherlich nie im Namen John Dowlands zusammengekommen, hätten nicht zum ersten Mal 2200 Plätze für ein Lautenkonzert gefüllt, wenn nicht Gordon Sumner, oder besser dessen Pop-Ego Sting, vor zwanzig Jahren erstmals mit dem britischen Zupfgeigenhansel konfrontiert worden wäre. Als 56-Jähriger fühlte sich Sting reif genug, mit einer Dowland-CD seinen nach wie ¿vor dünnen, aber flexiblen Tenor geschickt verhallt der Öffentlichkeit zu präsentieren. Er bestand die klassische Nagelprobe mit ¿Anstand. Und auch live ist das ein erfreuliches Unternehmen. Natürlich spielt der wunderbare Paul O'Dette in einem Schlosssaal unverstärkt diese Musik feinsinniger und melancholischer als der ?doch etwas blechern klingende Lautenist Edin Karamazov. Und natürlich singt etwa ein Andreas Scholl solches mit seinem Countertenor betörender, vielschichtiger. Aber würden all diese Leute ihnen zuhören?
Bei Sting tun sie das, irgendwie gebannt. Obwohl er - da kommt der studierte Lehrer dann doch durch - auf dem mit Teppichen wohnlich gemachten Podium im Funzellicht Dowland-Briefe rezitiert und ein wenig Geschichtsunterricht gibt. Auch macht er sich über die eigenen (bescheidenen) Lautenkünste lustig. Und tritt im Teil der chorbegleiteten Lieder ganz zurück, wird mit seinem intensiven, zart modulierenden Fisteltenor weich schimmerndes, bescheidenes Medium für eine Musik, die verzaubert, die aber eben auch solche Patrone braucht, um heute überhaupt gehört zu werden.
(c) Die Welt