Vor der großen Leinwand schrumpft der Star...
Musikalisch perfektes Konzert von Sting in der Europahalle Karlsruhe mit einer Überdosis Video.
Darf er bitten? Aber klar doch: Da mag Richard Gere im Kino noch so sehr Jennifer Lopez übers Tangoparkett schieben - gegen die Damen, die Sting per Filmeinspielung bei seinem Konzert in der Europahalle Karlsruhe tanzen lässt, sieht sogar die schmucke J.Lo arg brav aus. Orientalisch anmutende Hüftschwünge verzieren schon den Konzerteinstieg mit 'Send Your Love' von der aktuellen CD, bei deren Titelstück 'Sacred Love' flattern auf einem virtuellen Laufsteg frech die Kleider davon, und sogar bei der eher sanften Nummer 'Dead Man's Rope' laufen schmeichelnd-flie-ßende Bewegungen über die Leinwand.
Das mag ein bisschen viel sein, aber es passt durchaus zu Sting 2004. Denn der missachtet seine eigene Textzeile 'Forget About The Future And Let's Go On With The Past' (Vergiss die Zukunft und lass uns mit der Vergangenheit weitermachen), indem er sich auch auf zeitgemäßem Dancefloor-Gelände sicher bewegt namentlich im erwähnten 'Send Your Love', das live mit ordentlich mehr Druck daherkommt als auf Platte. Wobei Sting selbst nur kurz selbstironisch mit seinem Sex-Appeal spielt: Im Schlusspart des Songs bekommt er seinen Bass umgehängt, elegant kriegt die Band die Kurve und landet punktgenau in der alten Police-Nummer 'Synchronicity II'. Damit ist das souveräne Wandern zwischen den Stilen eröffnet: Der entspannte Reggae von 'New Year's Day' lädt die rund 5.500 Besucher zum Mit-klatschen ein, ebenso der lässige 'Englishman In New York'. Für Altfans gibt's 'Every Little Thing She Does Is Magic', für Balladenliebhaber hintereinander weg 'Fragile' und 'Fields Of Gold', zwei Meilensteine mit Dominic Millers perlendem Gitarrenpicking.
Überhaupt ist der Gesamtsound von selten gehörter Transparenz (was schon den im Vorprogramm auftretenden Popjazz-Trompeter Chris Botti zum Hörgenuss gemacht hatte), so dass die wirbelnden Percussioneinlagen ebenso zur Geltung kommen wie das dynamische Hochschaukeln, das sich Sting ab und an mit seinem Pianisten bei dessen Soli gönnt. Wobei die sehr präzise Band meist rein songdienlich agiert, schließlich wollen die Besucher für ihre über 50 Euro Eintritt vor allem Mr. Gordon Matthew Sumner hören. Und der beweist, dass seine warme, rauchig-samtene Stimme mit den markanten Höhen sich in über 25 Jahren Popgeschäft bestens gehalten hat. Dass er neben einem handelsüblichen Hit-Querschnitt reichlich aktuelles Material spielt, reduziert zwar die Mitsingquote, nicht aber die Stimmung. Schließlich ist es durchaus ein Erlebnis, wenn Backgroundsängerin Joy Rose im Duett 'Whenever I Say Your Name' den Part von CD-Gaststar Mary J. Blige mehr als ausfüllt.
Damit wird auch schon das erste Finale eingeläutet: 'Never Coming Home' endet in ekstatischen Piano und Gitarrensoli, und mit den Worten ''Ick bin noch nickt fertig'' (die knappen Ansagen waren fast durchweg in drolligem Deutsch) läutet Sting 'Roxanne' ein. Hier lässt er die Band nach dem ersten Refrain in einen derart hypnotischen Reggae-Groove abheben, dass er schon ab und zu mal ''Put On The Red Light'' ins Mikro singen muss, damit man nicht vergisst, in welchem Song man eigentlich ist. Oder in welchem Raum. Da wird deutlich, dass ein gutes Konzert eigentlich nicht auf teures technisches Brimborium angewiesen ist - wenn Sting richtig loslegt, braucht er keine tanzenden Leinwandmädels. Wer hat Popstars überhaupt eingeredet, sie müssten beim Konzert auch noch Kino bieten? Vor all den heutzutage üblichen Leinwänden werden sie kleiner als sie es verdienen.
(c) Badische Neueste Nachrichten by Andreas Jüttner