Englishman in New York - Sting mischt im Wiesbadener Kurpark Stile und Rhythmen...
''Ich freue mich, bei euch zu sein'', radebrecht der Mann im saloppen Hemd-Hose-Freizeitlook freundlich in nahezu akzentfreiem Deutsch. Allzu viele Worte wird Gordon Mathew Sumner alias ''Sting'' bei seinem Auftritt im Wiesbadener Kurpark auch in den kommenden zwei Stunden nicht machen.
'Send Me Your Love' hei?t es zum beschwingten Auftakt, wie vieles andere auch aus dem aktuellen Album 'Sacred Love' stammend. Es geht natürlich zuallererst um Liebe, aber auch um die Zukunft der ganzen Welt und um die Illusion, einen Abend lang alle Sorgen vergessen zu können.
Der 52 Jahre alte Sänger, Bassist und Komponist enttäuscht niemanden - weder die Freunde von Jazz und Swing noch die Anhänger milder Pop- und Rockklänge. Virtuos mischt er Stile und Rhythmen, bringt erstaunlich viel Soul wie 'Whenever I Say Your Name', erlaubt sich Ausflüge in den Jazzrock mit Mut zu ausgedehnten Improvisationen seines exzellenten Begleitensembles. Die Ode an den verstorbenen britischen Homosexuellenaktivisten Quentin Crisp, 'Englishman in New York', steht ebenso auf dem Programm wie das mehr als ein Vierteljahrhundert alte flehent-liche Bitten an die geliebte Prostituierte 'Roxanne', das rote Licht im Fenster nicht anzuschalten. Zeitlos schön das jazzig-balladeske 'Fragile', sehnlichst vom Auditorium erwartet der swingende Ehescheidungsevergreen 'Every Breath You Take' aus der seligen Ära, als ''Sting'' noch manisch-wild das legendäre Trio Police anführte, von dem er sich vor 20 Jahren trennte.
Da? das aktuelle Material unter dem Eindruck der Terroranschläge vom 11. September entstanden ist, wird angesichts digital animierter, brennende Ölfelder angreifender Kriegsbomber niemand bezweifeln. Doch macht ''Sting'' den Terror nicht zum Thema, höchstens zur Stimmung, die unser aller Leben tangiert.
(c) Frankfurter Allgemeine Zeitung by Michael Köhler
Ein Gentleman in New York...
Und in Wiesbaden: Sting reiht im Kurpark Hit an eingängigen Hit und ist dabei, ein Wunder, immer noch nicht allzu routiniert
Kommen wir gleich zum Wesentlichen: Er sieht immer noch gut aus. Zwar geht das Alter auch an Sting nicht spurlos vorbei, aber er trägt es mit Würde, etwas längerem, im Stile eines gereiften Playboys lässig zurückfallendem Haar und einem überlegenen, fast spöttischen Lächeln. Vielleicht ist das seine Antwort auf die jüngsten Kritiken, die die Tragkraft seiner Stimme in Frage stellen, aber im Grunde ist das unwahrscheinlich. Denn der Musiker Sting lebt schon lange nicht mehr im Hier und Jetzt. In all den Jahren als Autor von Popgeschichte, in all den Jahren auf der Bühne, zunächst als Frontmann von Police, später dann allein, hat er sich Zeitlosigkeit erarbeitet. Zeitlosigkeit, die aus Vertrautheit erwächst, aus unserer Gewissheit, dass Sting irgendwie immer schon da war und immer auch da sein wird. Und die zugleich auch Resultat seiner musikalischen Poetik ist, die sich nicht an Moden hängt oder Takt für Takt nach Juvenilität sehnt.
So hat Gordon Matthew Sumner, als der Sting 1951 in Newcastle zur Welt kam, auch als Mittfünfziger sein Pop-Gesicht bewahren können. Er ist nicht zu seiner eigenen Karikatur geworden wie Mick Jagger, Ozzy Osbourne oder Steven Tyler, die im Gegenzug über Stings affärenfreie Makellosigkeit lästern - ''It could be worse, I could be Sting'', ließ Osbourne etwa einmal wissen. Genauso wenig zehrt er nicht bloß vom auratischen Glanz alter, seit Jahren unerreichter Zeiten wie Paul McCartney. Und er erstarrt nicht in virtuoser Gediegenheit wie Eric Clapton. Er ist der elder statesman seines Genres, das gute Gewissen der Popmusik, dem man immer wieder zuhört, weil er nicht nur von früher erzählt und weil er genauso wenig seine Erfahrung, seine Geschichte, sein Wissen verleugnet, nur um deshalb vielleicht jünger, hipper wirken zu können.
Über Sting fällt im allgemeinen Popdiskurs kaum ein böses Wort, man kann sich trotz oder gerade wegen seines versöhnlichen, fast glatten Tons auf ihn einigen. Vielleicht auch weil er nie wichtig genug war wie Bob Dylan zum Beispiel, der einmal für viel mehr stand als nur für Musik und dem man deshalb jedes schwächere Werk doppelt übel nimmt. Sting ist vor allem als Musiker im Gedächtnis geblieben, handwerklich grundsolide, charmant, fließend, melodisch, selbst im Aufruhr immer noch leise lächelnd.
Das ist auch in Wiesbaden, das gerade noch rechtzeitig die dunklen Regenwolken verjagen konnte und die Abendsonne in der Kurpark schickte, seine beste Rolle. Ohne weitere Inszenierungen und Posen steht er mit geöffnetem Hemd auf der Bühne und bietet generationsübergreifenden Mainstream, perfekt in seiner Art und wie alles Perfekte immer auch eine Spur langweilig. Nicht einmal zu längeren Ansagen lässt er sich hinreißen, die Musik hat für ihn zu sprechen, zunächst das neuere Material, schnell aber die ewigen Melodien, pausen-, fast atemlos, wie in Medleyform aneinander geklebt: 'Roxanne', 'Walking On The Moon', 'Englishman in New York' und all die anderen Sting-Hits, immer noch nicht spürbar routiniert, ein Wunder eigentlich.
Das liegt viel daran, dass Sting eine Bande famoser Musiker um sich hat, die Eigentlich viel zu gut sind für die in Formate gepresste Popmusik des Commander of the British Empire, zu dem ihn gerade die Queen ernannt hat. Und weil Sting das weiß, lässt er sie manchmal auch los, lässt sie ein Stück wie 'Roxanne' eigenwillig aufbrechen, mithin sogar gegen den Strich bürsten und begnügt sich mit der ungewohnten Rolle des zuhörenden Sideman.
Ohnehin präsentiert sich Sting mit einer für ihn typischen, nahezu kalkulierten Offenheit - offen für ein bisschen Jazz, offen für ein bisschen Weltmusik, die sich vor allem als rhythmische Farbe niederschlägt. Aber nie wird die musikalische Anlage so offen, frei und experimentell, dass der Mainstream gefährdet würde.
Das dankt man ihm in Wiesbaden mit stiller, keineswegs ausgelassener Verehrung. Etwa 10,000 Menschen, jung und alt, Mann und Frau, wiegen sich textsicher im Takt und freuen sich, dass Sting ihre Sehnsucht nach Erinnerung bedient. Ausschreitungen sind nicht zu befürchten, alles bleibt gesittet wie die Musik gesittet ist. Vermutlich werden nicht mal Kippen auf den Rasen geworfen, denn die Botschaft, die Sting uns ins Ohr flüstert, ist klar und einfach: ''Ich will keine Krisen mehr'', sagte er vor kurzem in einem Interview, ''mir gefällt es, glücklich und zufrieden zu sein''. Um kurz vor Zehn, pünktlich zum vorab vereinbarten, Anlieger besänftigenden Termin, sind wir es auch. Zum Abschied wirft uns Sting einen Kuss zu und verbeugt sich mit der ihm eigenen Lässigkeit. So wie das echte Gentlemen nun mal tun.
(c) Frankfurter Rundschau by Tim Gorbauch